Krawall ums Batzebier

Vor 150 Jahren kämpfte Frankfurt verlust- aber erfolgreich für preiswertes Bier

Es gibt Geschichten, die man gerne als lustigen lokalhistorischen Schwank erzählen würde – bis man merkt, dass alles auf ein tragisches Ende hinausläuft. In diesem Fall beginnt die Geschichte bereits mit einer fatalen Entscheidung. Im Frühjahr 1873 beschlossen die Frankfurter Brauereien den Bierpreis anzuheben. Bekam man bisher den halben Liter für vier Kreuzer, also einen Batzen, so sollte man ab dem ersten April einen halben Kreuzer mehr auf den Tresen legen. Dazu kam, dass es keine Halb-Kreuzer-Münzen gab. Also musste man fünf Kreuzer zahlen und bekam dann eine Halb-Kreuzer-Wertmarke, die man beim nächsten Schoppen wieder einlösen konnte. Allerdings nur bei demselben Wirt. In der Augen der Biertrinkenden in Frankfurt war das eine bodenlose Unverschämtheit, zumal Bier damals mehr war als nur ein probates Mittel der Freizeitgestaltung. Sauberes Trinkwasser war rar, und Bier für große Teile der Bevölkerung ein Grundnahrungsmittel. Außerdem konnte sich niemand daran erinnern, dass Bier jemals mehr als einen Batzen gekostet hätte. Die Empörung war also groß, insbesondere nachdem letzte Hoffnungen sich zerschlagen hatten, das sich alles nur um einen grausamen Aprilscherz handeln könnte.

Die Wirte forderten pünktlich zum ersten April tatsächlich den höheren Bierpreis ein. Seitdem sieben Jahre zuvor die Preußen die bis dahin freie Stadt Frankfurt besetzt hatten, war die Stimmung nicht mehr so miserabel gewesen. Wie üblich in Frankfurt äußerte sich der Unmut zunächst jedoch lediglich in lautstarkem Ramentern und noch schlechterer Laune als sonst schon. Sogenannte „auswärtige Agitierende“ unterschiedlichster politischer Couleur fanden sich ein, um den Unmut für ihre Zwecke zu nutzen, mussten aber feststellen, dass die Frankfurter*innen ihrem Treiben noch ablehnender gegenüberstanden als der Bierpreiserhöhung.

Eskalation am Nickelchestag

Wahrscheinlich wäre es bei Missmut und schlechter Laune geblieben, aber am 21. April stand mit dem Nickelchestag ein wichtiger Frankfurter Feiertag an. Dieser ging zurück auf einen Offenbacher Tabakfabrikanten, der die erfreuliche Idee hatte, seinen Mitarbeiter*innen am dritten Montag der Frühjahrsmesse freizugeben und ihnen sogar noch einen Bonus zu zahlen. Eigentlich sollten sie so die Möglichkeit bekommen, zur Messe zu gehen und dort für Umsatz zu sorgen – tatsächlich entwickelte sich der Tag zu einem Volksfestereignis. Im Jahr 1873 stand der Nickelchestag jedoch unter dem bösen Vorzeichen der Bierpreiserhöhung. Manche der Feiernden tranken unverdrossen, was nicht nur die üblichen Folgen hatte, sondern auch zu steigendem Groll auf Die-da-oben und das Schicksal im Allgemeinen und Brauereien im Besonderen führte. Wer versuchte weniger zu trinken, war natürlich auch nicht glücklicher.

„Mir wolle Batzebier“

Am Nachmittag eskalierte die Situation und eine wütende, teils schon betrunkene, teils noch durstige Menge von geschätzt hundert Personen zog durch die Straßen und begann Kneipen und Gaststätten zu demolieren. Damit jeder sehen konnte, dass man es ernst meinte, trug man einen roten Vorhang vor sich her. Der passende Schlachtruf lag auch nahe: „Mir wolle Batzebier!“. Dem konnten sich offenbar viele anschließen und die Menge wuchs rasant. Als man dazu überging, Brauereien zu belagern, wehrten sich die Brauenden mit heißem Biersud, den sie auf die Protestierenden gossen. Die Polizei war bei alledem nicht zu sehen – in Frankfurt gab es insgesamt nur wenig mehr als fünfzig Schutzpolizisten, die sich hilflos in ihre Wachen zurückgezogen hatten.

Bis zu diesem Zeitpunkt hätte alles noch gut ausgehen können. Wäre das alles beispielsweise an einem Wäldchestag passiert, dann hätte der traditionelle heftige Gewitterregen am frühen Abend zweifellos dafür gesorgt, dass sich die Gemüter beruhigen, alle nach Hause gehen und am nächsten Morgen mit einem gewaltigen Kater aufwachen. Ein Gewitter war allerdings an diesem Nachmittag nicht in Sicht, auch kein Ende des Krawalls – und die Stadtregierung unter Oberbürgermeister Daniel Heinrich Mumm von Schwarzenstein witterte Aufruhr und Umsturz, wo doch lediglich der Durst die Leute auf die Straße getrieben hatte. Die Polizei hatte ja bereits kapituliert, also rief man das Militär. Ein kurhessisches Infanterieregiment zog mit sechs Bataillonen in die Stadt und begann auf die Demonstrierenden zu schießen. Das konnte nur noch tragisch enden: Zwanzig Menschen starben, dazu kamen unzählige Verletzte. Am nächsten Morgen stand die gesamte Stadt unter Besatzungsrecht, alle Bahnhöfe und Brücken waren von Soldaten besetzt, Schulen, Geschäfte und Hotels geschlossen. 300 Menschen wurden verhaftet, etliche davon zu Zuchthausstrafen von bis zu viereinhalb Jahren verurteilt.

Immerhin gab es noch einen Lichtblick: Die Sprecher der Brauer-Vereinigung, die Herren Binding und Henninger, verkündeten wenig später, dass ihretwegen „Leben und Eigentum“ nicht bedroht werden sollen – und nahmen die Bierpreiserhöhung zurück. Wenigstens das Batzebier war also gerettet, jedenfalls solange es noch Kreuzer und Batzen gab.

Ein Feature des WDR zum Bierkrawall in Frankfurt, einschließlich eines Interviews mit Christoph Jenisch, finden Sie hier: https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/zeitzeichen/zeitzeichen-frankfurter-bierkrawall-100.html