Herr Goethe nimmt ein Bad

Goethes Sturm-und-Drang-Periode endet recht plötzlich Mitte Juni 1775, während seiner ersten Reise durch die Schweiz.

In den beiden Jahren zuvor ist der Dichter durch die Veröffentlichung des Götz von Berlichingen und des Werther berühmt geworden: Beide Werke haben begeisterte Anhängerinnen und Anhänger: Wer sich für den Götz von Berlichingen begeistert, bevorzugt in der Regel das lärmende Rowdytum in freier Natur, während die die eher empfindsamen Werther-Verehrerinnen und -Verehrer in aller Stille den Selbstmord erwägen. Die jungen Stolberg-Brüder, Christian und Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg, gehören als Reichsgrafen der alten, tatkräftigen Schule eindeutig in die erste Kategorie und laden Goethe im Sommer 1775 zu einer Schweiz-Reise ein.

Man reist nach einem kleinen Besäufnis in Frankfurt, bei dem Goethes Mutter eigenhändig den Wein einschenkt, nach Zürich, man wandert bis hinauf auf den St. Gotthardt, man preist die Berge, den Käse, den Wein, den unverfälschten Landmann, und – wie Goethe mit einiger Verstörung feststellen muss – man springt nackt in den Zürichsee. Nackt! Auch seine Mahnung, man befinde sich „in einem Lande, das für gut und nützlich erachtet habe, an älteren, aus der Mittelzeit sich herschreibenden Einrichtungen und Sitten festzuhalten“ kann die die Stolberg-Brüder nicht vom unbekleideten Sprung in das eidgenössische Gewässer abhalten, trotz ihrer erklärten Vorliebe für das Mittelalter.  

Während die beiden johlend und lachend im See toben, weiß Goethe nicht, was er tun soll: Natur, ja, schön und gut, aber nackt? Am Tag? In der Schweiz? Schließlich wirft er Bedenken und Kleidung beiseite und steigt in den See, vermutlich erst still das ganze Stürmen und Drängen verfluchend, dann, während das kühle Nass ihn unerwartet frisch umspielt, kurz aufjauchzend und schließlich, wer weiß, gar ausgelassen planschend.

Aber der Spaß währt nur so kurz wie die Geduld der Schweizerinnen und Schweizer mit nacktbadenden Flegeln lang ist, und schon beim nächsten Badevergnügen, diesmal im Flüsschen Sihl oberhalb von Zürich, wird die ganze Gesellschaft von wütenden Eidgenossen mit Steinwürfen aus dem Wasser getrieben. Die Stolberg-Brüder, nass und mit eilig zusammengeraffter Kleidung durch den Wald flüchtend, können sich vor Lachen kaum halten, aber Goethe, immerhin noch trocken, aber schockiert, ist nun endgültig überzeugt: Sturm und Drang können ihm zukünftig gepflegt am Arsche lecken.