Musik und Utopie in Frankfurt

Die Ausstellung Musik im Leben der Völker 1927

Im Sommer 1927 konnte man in Frankfurt für ein paar Wochen den Eindruck gewinnen, in der Weltgeschichte würde sich nun doch alles zum Guten wenden. In der Festhalle wurde nichts weniger als eine bevorstehende neue, moderne und bessere Zeit beschworen, in der die Völker der Welt friedlich und im Geiste gegenseitigen Verständnisses zusammenleben. Das war umso bemerkenswerter, als gleichzeitig andere Zeitgenossen lautstark die Überlegenheit der eigenen Nation postulierten.

Vom 11. Juni bis zum 28. August, vielleicht nicht zufällig die Geburtstage von Richard Strauss und Goethe, fand auf dem Frankfurter Messegelände das Festival Musik im Leben der Völker statt, zu dem auch ein Konzertprogramm unter dem Titel Sommer der Musik gehörte. Das Festival wurde schnell als „Weltausstellung der Musik“ bezeichnet, da man nicht weniger als die Gesamtheit der zeitgenössischen Musikkultur darstellen wollte: Europäische und amerikanische Musik ebenso wie afrikanische und asiatische, Hochkultur und Klassik ebenso wie Populärmusik und neue Musik. Auch die Besucherzahlen rechtfertigten den Anspruch einer Weltausstellung: 820.000 Besucherinnen und Besucher fanden den Weg in die Frankfurter Messehallen, viele davon aus dem inner- und außereuropäischen Ausland. In der internationalen Presse fand das Programm ebenfalls ein breites Echo. Ein amerikanischer Reporter meinte gar, die Ausmaße der Veranstaltung seien „amerikanesque“[1],[2].

„Von Bambus und Kürbis …“

In der Ausstellung erwarteten die Besucherinnen und Besucher zunächst mehrere musikhistorische Abteilungen, unter anderem Musikräume mit Instrumenten und Möbeln unterschiedlicher Epochen von Mittelalter bis zur Moderne, sowie Exponate aus unterschiedlichen Ländern. Glanzstücke waren die Originalpartitur von Beethovens Dritter Sinfonie und ein von Ferdinand Kramer entworfener Flügel im Bauhaus-Stil, der sogenannte Baldur-Flügel.

Ein Blick in die Ausstellung: die Entwicklung des Klaviers (Postkarte)

Ein weiterer Schwerpunkt des Festivals war die außereuropäische Musik: In der ethnographischen Abteilung wurde die Entwicklung „von Bambus und Kürbis zu modernen Instrumenten“[3] erläutert, dazu waren verschiedene Instrumente aus Afrika und Asien zu sehen, unter anderem ein vollständiges javanisches Gamelan-Orchester, ein burmesisches Marionettenorchester und ein chinesisches Glockenspiel. Hören konnte man dazu Aufnahmen der Berliner Phonogramm-Archive.

Eine Schamanentrommel
(aus: Das neue Frankfurt 1926/1927, Nr. 6)

Nicht weniger spektakulär waren neue Musikinstrumente, bei denen Klänge durch Handbewegungen in einem elektromagnetischen Feld erzeugt wurden: Jörg Mager präsentierte sein „Sphärophon“, von dem Paul Hindemith meinte, es sei die „umwälzendste Erfindung auf dem Gebiete der Musikinstrumente“[4]. Allerdings befand sich das Gerät 1927 wohl eher „im Übergang vom Experiment zum Apparat“[5]. Der russische Physiker Leo Theremin gab dagegen auf dem nach ihm benannten Instrument sogar Konzerte, die allgemein mit ungläubigem Staunen aufgenommen wurden. Die Frankfurter Zeitung schrieb dazu fast poetisch: „Das Märchen ist Wirklichkeit geworden: Die Sphären klingen unter Zauberhand. Ein Mensch bewegt die Hand – und Musik ertönt, von einem magischen Stabe ausgesandt.“[6] Man glaubte sogar, mit den neuen Erfindungen ganze Orchester ersetzten zu können, und pries gleichzeitig die preiswerte Beschaffung für den Hausgebrauch und neue Betätigungsfelder für Hobbybastlende.

Professor Theremin spielt auf dem gleichnamigen Instrument
(aus: Das neue Frankfurt 1926/1927, Nr. 6)

Insgesamt war das begleitende Konzertprogramm nicht weniger umfassend und international ausgerichtet als die Ausstellung: Man konnte klassische Musik ebenso hören wie sowjetische Arbeiterchöre, eine Marimba-Kapelle aus Guatemala, unterschiedliche Jazz-Konzerte, einen Wettbewerb der Feuerwehrkapellen, ein slowenisches Bauernorchester, Kirchenmusik unterschiedlicher Konfessionen sowie Konzerte von Hindemith, Bartók und Strawinsky. Den Abschluss bildeten eine Richard-Wagner-Woche und Richard-Strauss-Festspiele.

„Sichtbare Musik“

Die Vorbereitungen für das Festival dauerten lediglich acht Monate. Anlass war die geplante Ausrichtung des jährlichen Musikfestes der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik, das erstmals nach dem Krieg in Deutschland stattfinden sollte. Frankfurt schien ein passender Ort für die Veranstaltung zu sein, denn die Stadt förderte bereits seit Beginn der zwanziger Jahre avantgardistische Musik. Unter anderem hatte man Paul Hindemith 1923 den Kuhhirtenturm in Sachsenhausen als Wohnung zur Verfügung gestellt – auch wenn der Komponist die Instandsetzung des verfallenen Turms aus eigener Tasche bezahlen musste. Um das Dr. Hoch’s Konservatorium (wo 1927 auch die weltweit erste Jazzklasse eingerichtet wurde) und die Musikbibliothek des Mäzens Paul Hirsch hatte sich zudem ein Netzwerk von innovativen Musiker*innen und Kulturschaffenden gebildet, die Frankfurt in den Zwanziger Jahren zu einem Zentrum der musikalischen Avantgarde machten.

Eine Ausstellungsvitrine mit Lichtsäule
(aus: Das Neue Frankfurt 1926/1927, Nr. 6)

Maßgeblich für die Förderung der Neuen Musik in Frankfurt war insbesondere Oberbürgermeister Ludwig Landmann, der im November 1926 zusammen mit Otto Sutter, dem Direktor der Frankfurter Messe, auch den Anstoß für die Festivalplanung gab. Einbezogen wurde dabei auch das städtebauliche Programm Neues Frankfurt: Stadtbaudirektor Martin Elsaesser, der Architekt der Frankfurter Großmarkthalle, war mit der baulichen Gestaltung des Ausstellungsgeländes betraut: Er konzipierte, wie er schrieb, „klare, schnittige, gut belichtete und einfache Räume“ die nur „schlichter Rahmen der auszustellenden Dinge sein“[7] sollten. Der Musikkritiker Karl Holl beschrieb das Ausstellungskonzept gar als „sichtbare Musik.“[8] Um das gewünschte einheitliche und moderne Erscheinungsbild des Geländes zu erreichen, wurden mehrere zusätzliche Gebäude rund um die Festhalle errichtet und die Neo-Renaissance-Fassade der Festhalle selbst teilweise verkleidet. Nichts sollte das der Moderne verpflichtete Gesamtkonzept stören.

Diesem Konzept sollte auch das Layout der Druckwerke – Plakate, Broschüren, Einladungen – entsprechen. Hierfür war mit Hans Leistikow ein weiterer prominenter Vertreter des Neuen Frankfurts zuständig.

Eine nicht ganz gelungene Mischung aus Tradition und Moderne: Alte Brücke und alter Dom auf traditionellem Schoppedeckel im modernen Alu-Design. Hans Leistikow war hierfür vermutlich nicht verantwortlich.

Musik und Utopie

Frankfurt wollte sich also mit dem Festival nicht nur als Stadt der Musik, zumal der modernen Musik, zeigen, sondern auch als Zentrum der Moderne. In der offiziellen Werbebroschüre hieß es, dass Frankfurt sich als „Hochburg freiheitlichen Denkens, der Humanität und der Künste“ präsentiere.

Auch das Konzept der Ausstellung ging weit darüber hinaus, nur eine möglichst umfassende Zusammenstellung hochwertiger Exponate und Konzerte bieten zu wollen. Anspruch der Ausstellungsmacher*innen unter Leitung der Musikhistorikerin Kathy Meyer-Baer war es, Musik als das verbindende Element zwischen den Völkern herauszustellen. Man war sich sicher, dass Musik von allen Menschen gleich verstanden werde und daher das Potential habe zu einer Verständigung zwischen den Nationen aber auch innerhalb der Gesellschaft beizutragen.

Dieser völkerverbindende Anspruch wurde während der Eröffnungsveranstaltung von allen Rednern aufgenommen. Vor allem dem Auftritt des französischen Kulturministers Édouard Herriot kam eine besondere Bedeutung zu, denn es war der erste offizielle Besuch eines französischen Regierungsmitglieds in Deutschland nach dem Krieg. Herriot ging davon aus, dass Musik zu Verständigung beitragen und somit eine europäische Versöhnung ermöglichen könne. Der deutsche Außenminister Gustav Stresemann betonte in seiner Rede, dass Musik die Menschen über Grenzen hinweg verbinde, und Oberbürgermeister Ludwig Landmann glaubte an die Möglichkeit, mit Musik Unterschiede zu überwinden: „Sie überbrückt alle Gegensätze und führt, geboren aus weltweiten kosmischen Kräften, zur Harmonie mit der Menschheit wie mit sich selbst“[9].

Tatsächlich hatten sich viele hochrangige Regierungsvertreter in Frankfurt eingefunden. Zu Gast waren neben dem österreichischen Bundeskanzler Ignaz Seipel auch zwei Minister aus Belgien und einer aus Ungarn, dazu Vertreter aus Polen, Italien, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion.

Selbst das abendliche Festmahl war international geprägt: Man servierte indische Schildkrötensuppe, Kalbsbraten Metternich mit amerikanischem Salat und ein Pfirsichdessert Mary Garden, benannt nach einer britischen Opernsängerin.

„Die Verlassenheit der Musik“

Der junge Theodor W. Adorno schrieb über das Festival seine ersten Musikkritiken – und es überrascht nicht, dass er den Optimismus der Ausstellungsmacher und der Staatsvertreter nicht teilen konnte. Die Ausstellung, schrieb er, „gibt in ihrer weitläufigen Vollständigkeit recht eigentlich die Totalität des Vereinzelten wieder: den zerfallenen Kosmos fürs Ohr ersetzt sie durch eine stumme Realenzyklopädie fürs Auge.“ So sei das Festival in der Tat repräsentativ, aber – anders als geplant – für die „Trauer um die Verlassenheit aller Musik“. Der Mensch habe die Unmittelbarkeit der Verbindung zu Musik schon lange verloren, existiere nur noch als applaudierendes Publikum, die Musik nur noch als industrielles Produkt.

Tatsächlich zeigte sich gerade anhand der Vielfältigkeit der Exponate und Musikstile, wie weit man von der Utopie einer durch Musik vereinten Welt entfernt war. Ein Beispiel hierfür sind die Diskussionen um den Jazz: Während das Neue Frankfurt im Jazz eine „Entfesselung des Klangs“[10] sieht und prophezeit, dass die dem Jazz innewohnende Freiheit auch die klassische Musik beeinflussen wird, warnte Gustav Stresemann in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung sogar vor den Gefahren des Jazz: Dieser führe zurück in den Zustand der „Primitivität“ und führe zu einer „Verflachung der Kultur“. Im Gegensatz dazu erlebe er den Genuss klassischer Musik als „Feiertagsstunde“[11].


Die Hessische Abteilung der Ausstellung.
Hier stieß der Anspruch auf eine moderne Ausstellung an ihre natürlichen Grenzen. (Postkarte)

Zudem stießen auch viele der Darbietungen außereuropäischer Musik auf ein gewisses Unverständnis bei einem Teil der Besucherinnen und Besucher – beispielsweise die Konzerte chinesischer Musik, bei denen das Publikum nur „ohrenbetäubenden Lärm“ erkannte, der „nur viertelstundenlang“[12] zu ertragen sei. Für manche konnte das Verbindende in der Musik zu erleben, eben nur bedeuten, quasi in der von Stresemann erwähnten „Feiertagsstunde“, gemeinsam klassischer Musik mitteleuropäischer Prägung zu lauschen, beispielsweise einer Sinfonie von Beethoven – auch wenn dies kaum außereuropäischen Musiktraditionen und Hörgewohnheiten entsprechen konnte, und auch nicht dem Anspruch der Ausstellungsmacher. Vieles, auch der Jazz, erschien erst einmal zu fremd oder zu ungewohnt, um als verbindendes Element anerkannt zu werden.

Dass Völkerverständigung durch Musik einigen Zeitgenoss*innen nur unter dem Primat der eigenen Kultur möglich zu sein schien, zeigte sich auch in anderen Reaktionen. Das Auswärtige Amt zeigte sich beispielsweise besorgt darüber, dass die Tschechoslowakei die Musik der Sudetendeutschen nur unzureichend berücksichtigen könnte, und bat die Ausstellungsleitung um angemessene Darstellung. Einige Kommentatoren waren zudem überzeugt davon, dass Deutschland geradezu prädestiniert sei für die Ausrichtung einer solchen Veranstaltung, da es kulturell allen anderen Nationen überlegen sei: „Deutschland marschiert an der Spitze – die übrigen Nationen schließen sich an“[13], formulierte ein Journalist. Hier zeigte sich bereits der Geist, der in den kommenden Jahre in Deutschland vorherrschend wurde – nicht einmal zehn Jahre später waren die meisten der an der Ausstellung Beteiligten in die Emigration getrieben worden, und im Nationalsozialismus sollte Musik nurmehr der Identifikation mit der eigenen „Volksgemeinschaft“ dienen.

Ein Sommer der Möglichkeiten

Im Sommer 1927 schien vieles möglich zu sein, sogar europäische Versöhnung und Völkerverständigung. Charles Lindbergh hatte mit dem Flugzeug den Atlantik überquert, der Tonfilm war erfunden worden, und noch ahnte niemand etwas von der bevorstehenden Weltwirtschaftskrise. Die Moderne schien unaufhaltsam und mit ihr die Neue Musik, das Neue Bauen und nicht zuletzt die Utopie von einer besseren und friedlicheren Welt. Die Ausstellung „Musik im Leben der Völker“ ist ein Ausdruck dieser Aufbruchsstimmung – und die Stadt Frankfurt präsentierte sich dabei eindrucksvoll als Stadt der Moderne.


[1] „The Frankfort Festival“, in: New York Times vom 17. Juli 1927

[2] Auch die Kosten einer Weltausstellung entsprachen denen einer Weltausstellung  – am Ende blieb die Stadt Frankfurt auf einem Defizit von 4 Millionen Reichsmark sitzen.

[3] Karl Holl: Sichtbare Musik. in: Das Neue Frankfurt. Monatsschrift für die Fragen der Großstadt-Gestaltung. Nr. 6. Frankfurt 1927. S. 135

[4] „Eine neue Epoche der Musikgeschichte? ebd. S. 127

[5] Karl Holl: Sichtbare Musik. ebd., S. 136

[6] „Musik ohne Instrumente“, in: Frankfurter Zeitung vom 4. August 1927

[7] Martin Elsässer: Musik im Leben der Völker. Die architektonische Gestaltung. in: Das Neue Frankfurt. Monatsschrift für die Fragen der Großstadt-Gestaltung. Nr. 6. Frankfurt 1927. S. 134

[8] Karl Holl: Sichtbare Musik. ebd., S. 135

[9] Eröffnungsrede. In: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Magistratsakten S2587, Bd.1

[10] Wilhelm Heinitz: Irrationale Prohezeiungen dem Jazz.. in: Das Neue Frankfurt. Monatsschrift für die Fragen der Großstadt-Gestaltung. Nr. 6. Frankfurt 1927. S. 142

[11] Nach: „Musik im Leben der Völker“: Musik und Gesellschaft in Frankfurt am Main um 1927. In: Musik in Frankfurt. Evelyn Brockhoff (Hrsg). Frankfurt 2008, S. 111 ff

[12] „Die Musik in China“, in: Münchner Neueste Nachrichten vom 17. Juli 1927

[13] Nach: „Musik im Leben der Völker“: Musik und Gesellschaft in Frankfurt am Main um 1927. In: Musik in Frankfurt. Evelyn Brockhoff (Hrsg). Frankfurt 2008, S. 111 ff